Andere Länder, andere Stimmen
Die “Stimmen im Kopf” bei an Schizophrenie erkrankten Patienten sind offenbar kulturell geprägt: Was Patienten zu hören glauben, ist je nach Land sehr unterschiedlich.
Schizophrenie ist eine schwere psychische Erkrankung, die durch zahlreiche sehr unterschiedliche Symptome gekennzeichnet wird. Häufig wird die Bezeichnung Schizophrenie fälschlicherweise als Synonym für Persönlichkeitsspaltung gebraucht. Dementsprechend bezeichnen wir in der Umgangssprache etwas als schizophren, wenn wir es als besonders widersprüchlich oder absurd empfinden. In Wirklichkeit ist eine gespaltene Persönlichkeit jedoch ein eigenes Krankheitsbild und hat mit der Schizophrenie nichts zu tun.
Tatsächlich hören viele an Schizophrenie erkrankte Menschen Stimmen im Kopf. Diese Stimmen erscheinen den Betroffenen äußerst real – so als würde eine andere Person zu ihnen sprechen. Die Äußerungen sind meist beleidigender oder gewalttätiger Natur. Doch ist dies überall auf der Welt gleich? Spielt es eine Rolle, aus welcher Kultur die Betroffenen kommen?
Was amerikanische und indische Patienten hören ist höchst verschieden
Über die kulturelle Ausprägung der “Stimmen im Kopf” schrieb kürzlich die Anthropologin Tanya Luhrmann in der New York Times. Luhrmann arbeitete in den vergangenen Jahren mit Wissenschaftlern der Schizophrenia Research Foundation aus Chennai zusammen, um Unterschiede in der Wahrnehmung schizophrener Menschen aus den USA und Indien zu erforschen. Diese haben viele Gemeinsamkeiten, wie Luhrmann festgestellt hat.
Allerdings sind die Stimmen, die die indischen Patienten hören, weitaus weniger grausam als die der Amerikaner. Diese wurden durch die Stimmen meist aufgefordert, gewalttätige Handlungen an sich oder anderen vorzunehmen. Einer der Betroffenen beschrieb dies wie folgt: “Sie wollen, dass ich mit ihnen in den Krieg ziehe.” Die indischen Patienten hingegen wurden von den Stimmen am häufigsten dazu aufgefordert, Hausarbeiten wie Kochen oder putzen zu verrichten. Vor allem waren es aber sexuelle Inhalte, die die Inder und Inderinnen hörten. Eine Frau berichtete von einer vulgären Männerstimme, die sie mit ihren wüsten Forderungen regelmäßig zum Weinen brachte.
Araber beten, Engländer lenken sich ab
Eine Studie der Universität Sheffield kam zu ähnlichen Ergebnissen: Hier wurden die Erfahrungen von 75 Patienten aus Saudi Arabien und England miteinander verglichen. In Lautstärke, Frequenz und in darin, wie sehr die Patienten den Stimmen Glauben schenkten, wurden keine signifikanten Unterschiede festgestellt. Wohl aber, was den Inhalt anging: Die Studienteilnehmer aus Saudi Arabien berichteten von religiösen und spirituellen Inhalten, während die Engländer glaubten, Anweisungen und gehässige Kommentare zu hören.
Entsprechend verschieden waren auch die Strategien, wie die Betroffenen mit den inneren Stimmen umgingen. Die Patienten aus England versuchten es mit Ablenkung und psychologischen Methoden, während diejenigen aus Saudi Arabien auf Gebete und anderen religiösen Praktiken zurückgriffen.
Auch wenn die inneren Stimmen von allen Patienten emotional ähnlich erlebt und bewertet werden, scheint also der Inhalts abhängig vom kulturellen Hintergrund zu sein. Sowohl Luhrmann als auch die Autoren der englischen Studie empfehlen, diesen Umstand bei der Therapie der Betroffenen mehr als bisher zu berücksichtigen.