Ich spreche, also sind wir
Haben Sie sich auch schon mal gefragt, warum Sie auf Spanisch richtig gut fluchen und schimpfen können während Sie beim Englisch sprechen besonders höflich und weniger emotional reagieren?
Eine Studie chinesischer Wissenschaftler hat vor einiger Zeit gezeigt, dass bei Menschen, die mehrere Sprachen sprechen, je nach Sprache unterschiedliche Persönlichkeiten zu beobachten sind.
Die SozialpsychologInnen Sylvia Xiaohua Chen und Michael Harris Bond von der Universität Hong Kong haben zu diesem Thema eine Untersuchung mit chinesischen Studierenden durchgeführt. Im Rahmen der Studie wurden unter anderem Interviews mit bilingualen chinesischen Studenten gehalten, in denen diese abwechselnd auf English oder Kantonesisch befragt wurden. Das Ergebnis: Sprachen die Studenten Englisch, wurden sie von den Interviewern als offener und extrovertierter beschrieben als wenn sie auf Kantonesisch antworteten. Die Forscher fanden heraus, dass sowohl die Sprache, die wir in einem Gespräch sprechen, als auch die Herkunft des Gesprächspartner bei der Kommunikation eine Rolle spielen.
Der amerikanische Linguist Benjamin Lee Whorf vertrat diesbezüglich die These, dass jede Sprache eine andere Sicht auf die Welt mitsichführt, die Ihrer Sprecher beeinflusst und die Persönlichkeit formt. Dazu kommt, dass wir versuchen, uns der Kultur und den jeweils spezifischen geltenden Besonderheiten anzupassen und die fremde Sprache zeitgleich automatisch mit bestimmten vorher gelernten kulturellen Normen assoziieren. Für einen Latino, der in Nordamerika aufgewachsen ist, mag die spanische Sprache zum Beispiel eher mit Familie und zu Hause verknüpft sein während er beim Englisch sprechen eher an Arbeit oder Schule denkt und sich dementsprechend ausdrückt und verhält.
Eine andere Studie der Wissenschaftler Shai Danziger von der Ben-Gurion University und Robert Ward von der Bangor University hat bestätigt, dass die Sprache, die wir sprechen, die Art und Weise, wie wir denken beeinflussen kann. Hintergrund der aktuellen Diskussion ist die Frage, in welcher Beziehung Sprache, Denken und Kultur zueinander stehen, mit der sich die Wissenschaft seit vielen Jahren auseinandersetzt.
Viele bi- oder multinationale Menschen berichten von ähnlichen Erfahrungen aus Ihrem Alltag, wie sie die Forscher beschrieben haben. Interessant wird es zum Beispiel dann, wenn man eine Person auf einer bestimmten Sprache kennen gelernt hat und dann nach einigen Wochen oder Monaten mit dem „zweiten ich“ des Menschen Bekanntschaft machen darf. Wer in einer Beziehung mit einem Partner aus einem anderen Land lebt muss allerdings auch einsehen, dass er den anderen vermutlich nie richtig in der Muttersprache kennen lernen wird und ihm somit ein wesentlicher und spannendes Teil des anderen Menschen verborgen bleibt.
Zwar mag die Tatsache, dass unsere Persönlichkeiten so variabel sind, zunächst abschreckend klingen, allerdings bietet sie auch viele Vorteile, da sie uns eine bessere Anpassung an die jeweilige Kultur und somit ein tieferes Eintauchen in Land und Sprachen ermöglichen. Konflikte und kulturspezifische Herausforderungen lassen sich auf diese Weise besser aushalten und bewältigen.
Eine fremde Sprache zu lernen bevor man auf Reisen geht, eine längeren Auslandsaufenthalt antritt oder Geschäfte mit internationalen Partner macht lohnt sich also gleich in mehrfacher Hinsicht.