Wie aus Nazis Drogenhändler wurden…
… und aus einem Widerstandskämpfer ein Atomwissenschaftler – Film-Synchronisation und Zensur in Deutschland.
Wie alles begann
Mit dem Übergang vom Stumm- zum Tonfilm steht die Filmindustrie vor einem großen Problem: Ihre Produktionen lassen sich aufgrund der Sprachbarriere nicht mehr international vermarkten. Zunächst dreht man die Filme noch in mehreren Versionen – mit Schauspielern aus den Ländern, in die der Film verkauft werden soll. Da dies jedoch aufwändig und teuer ist, setzt sich in Deutschland schon in den 1930er Jahren die Synchronisation der Filme durch. Mit der Möglichkeit, die Dialoge nachträglich zu bearbeiten, ist der Zensur Tür und Tor geöffnet. Gerade in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg werden so zahlreiche Auslandsproduktionen inhaltlich manipuliert.
Nazis raus – Die Zensur von “Casablanca”
Bekanntestes Beispiel ist der Klassiker “Casablanca” (1942) mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman. Der Film ist in seiner Originalfassung höchst politisch und bezieht explizit Stellung gegen das nationalsozialistische Deutschland. Das deutsche Publikum bekommt die US-Produktion erst zehn Jahre später zu Gesicht – in einer vollkommen veränderten Fassung. Aus dem tschechischen Widerstandskämpfer Victor Laszlo wird Victor Larsen, ein norwegischer Atomwissenschaftler. Statt vor den Nazis zu fliehen wie im Original, wird er nun von Geheimagenten verfolgt, weil er eine revolutionäre Erfindung zerstört hat. Zudem werde alle Szenen herausgeschnitten, die den Nationalsozialisten Major Strasser und seine Gefolgschaft zeigen. Damit ist der Film nicht nur rund 25 Minuten kürzer, man beraubt ihn seiner eigentlichen Antagonisten. Aus dem politisch brisanten Film wird so eine seichte Agentengeschichte, in der die Bedrohung nicht von einem menschenverachtenden Regime, sondern von mysteriösen Delta-Strahlen ausgeht. In der deutschen Version von Alfred Hitchcocks “Notorious” machte man aus den Nazis Rauschgifthändler – der Titel lautete in dieser Fassung folgerichtig “Weißes Gift”.
Wie “Casablanca” sein berühmtestes Zitat verliert
1969 zeigt die ARD “Notourious” in einer neuen Synchronisation, nun inhaltlich mit dem Original übereinstimmend. “Casablanca” wird gar erst 1975 korrekt synchronisiert – und verliert damit sein in Deutschland heute noch bekanntestes Zitat. Der vielfach zitierte und parodierte Satz “Schau mir in die Augen kleines” ist so nämlich nie gefallen. Im Original sagt Humphrey Bogart: “Here’s looking at you, kid” – die neue deutsche Übersetzung “Ich seh dir in die Augen, Kleines” ist dem immerhin ein Stück weit näher.
Der Siegeszug der Synchronisation und seine Folgen
Die Film-Synchronisation setzt sich in Europa vor allem in Deutschland, Italien und Spanien durch. Warum gerade dort? Der Filmwissenschaftler Joseph Garncarz vermutet, dass es das faschistische System ist, dass den Siegeszug der Synchronisation in den 30er Jahren ermöglicht. Die drei Länder legen aufgrund ihrer nationalistischen Ideologie besonderen Wert darauf , ausländische Produktionen in ihre Landessprache zu übersetzen und inhaltlich an kulturelle und vor allem politische Gegebenheiten anzupassen.
In den Nachkriegsjahren bietet die Synchronisation die Gelegenheit, unangenehme Erinnerungen an die eigene Geschichte auszuradieren. Das Publikum sehnt sich Ablenkung; man will das Trauma des Krieges vergessen. Politische Aussagen werden gestrichen – auch auf Initiative der amerikanischen Filmverleiher, für die der deutsche Markt besonders wichtig ist. Es wird also nicht nur aus politischen Gründen zensiert, ein wichtiger Grund ist auch die Vermarktung der Filme sicherzustellen.
Leider wird die Film-Synchronisation nicht nur in den Nachkriegsjahren für politische und moralische Zensur genutzt. Auch in der jüngeren Geschichte finden sich zahlreiche Beispiele für zensierte Filme. Welche, darüber berichten wir in der nächsten Woche.